Estland vom 3. - 22. September 06
Route in Estland:
Ainazi – Pärnu – Vaiste – Virtsu – mit der Fähre auf die Insel Muhu – Pädaste – Linnuse- Koguva – über den Damm auf die Insel Saaremaa – fahren der Küste entlang rund um die Insel Saaremaa mit einigen Abstechern ins Inselinnere – via Muhu zurück nach Virtsu – Lihula – Risti – Tallinn – Maardu – Pedaspea – Leesi- Loksa – Vösu – Vihula – Rakvere - Kothla-Järve – Toila - Narva
Estland Steckbrief:
EU-Mitglied seit 2004
Hauptstadt Estland Tallinn
Einwohner 1.5 Mio.
Fläche 45’215km 2
Währung Kronen (1 Euro = 15.64 EEK)
Bevölkerung und Sprache
In der Republik Estland leben 62% Esten, 38% Russen, Ukrainer und Weissrussen.Die Esten gehören zur finno-ugrischen Sprachfamilie. Sie sind also mit
Finnen, Ungarn und mit einem Dutzend weiterer ethnischen Gruppen wie Setu und Websen verwandt, die hauptsächlich im europäischen Teil Russlands wohnen. Hier ein paar „Müschterli“ aus ihrer
Sprache:
Söögisaal - Speisesaal
Hommikusöök - Frühstück
Tere Hommikust - guten Morgen
Tänan - danke sehr
Zahlen:
1 - üks
2 - kaks
3 - kolm
4 - neli
5 - viis
6 - kuus usw.
Ihr seht, auch diese Sprache ist eine erneute Herausforderung für uns!
In Ainazi passieren wir die Grenze und übernachten ein erstes Mal auf estnischem Boden. Per Zufall finden wir in einem Kiefernwald direkt am Meer einen wunderschönen Rastplatz. Dieser wurde vom Staat für Camper und Zeltler eingerichtet. Es stehen dort Feuerstellen mit Bänken, Toilettenhäuschen und Wasserbrunnen gratis zur Verfügung. Solche Rastplätze finden wir später in Estland an diversen Stellen. Wir finden dies eine geniale Idee der Esten, solche Plätze zu erstellen. In welchem Land gibt es sonst so herrliche Übernachtungsplätze direkt am Meer und erst noch gratis?
Inseln Muhu und Saaremaa
Mit der Fähre erreichen wir die kleine Insel Muhu in einer halben Stunde. Wir verweilen auf Muhu und besuchen das Freilichtmuseeum. Hier erfahren
wir einiges über die Lebensart der Esten und vor allem auch seiner Inselbewohner. Es erinnert uns Vieles an das bäuerliche Landleben unserer Eltern.
Nahe dem Freilichtmuseeum entscheiden wir uns zu übernachten. Am späteren Abend klopfte es an unserem Auto. Unser erster Gedanke war, dass uns jemand wegweisen will. Wir zögern einwenig und öffnen die Tür. Eine junge Französin und ihr Freund stehen ausser Atem und ganz aufgeregt draussen. Sie erzählen, dass sie mit Ihrem Wohnmobil irgendwo stecken geblieben sind und bitten uns um Hilfe. Auf unsere Frage, wie weit es denn von hier sei, können sie uns nur eine wage Zeitangabe von ca. 20 Minuten zu Fuss angeben! Aufgrund ihrer ungenauen Angaben und weil es bereits dunkel ist, überlegen wir, ob wir überhaupt noch nachts hinfahren wollen oder erst am Morgen. Auf die eindringliche Bitte der Beiden, fahren wir mit dem Auto hin. Wir können es kaum glauben, als wir sehen, wo sie mit ihrem Wohnmobil stecken geblieben sind. Sie sind nachts einen Feldweg gefahren, ohne vorgängig schauen zu gehen, wohin dieser führt und ob sie allenfalls das Wohnmobil noch wenden könnten. Sie sind kurz vor der Einmündung ins Meer im Sumpf stecken geblieben! Eigentlich dient dieser Feldweg den Einheimischen lediglich dazu, Fischerboote zu wassern. Zu unserem Erstaunen stellen wir fest, dass die Franzosen weder ein Abschleppseil noch sonst irgend eine Ausrüstung bei sich haben.
Für unseren Toyota ist das Rausziehen des Wohnmobils ein Leichtes! Dank Dänus guten Anweisungen schaffen sie es, das Wohnmobil auf einer kleinen festen Sandfläche zu wenden und wieder auf festen Boden zurück zu fahren. Der Schrecken sass den Franzosen noch im Nacken als sie mit uns zum Parkplatz zurückfuhren. Sie bedankten sich tausend Mal und zogen sich dann, erleichtert über den glimpflichen Ausgang ihres Abenteuers, in ihr Wohnmobil zurück.
Tags darauf fahren wir über den 4 km langen Damm, der die Insel Muhu mit der Insel Saaremaa verbindet. Saaremaa ist mit 2'671 km 2 die grösste estnische Insel. An ihrer 1’300km langen, zergliederten Küste wechseln sandige Dünen mit steinigen Stränden und Felsküste ab. Auf den steinigen Böden gedeiht die abwechslungsreichste Pflanzenwelt Estlands. Wälder, vor allem Wacholderhaine, Moore, Flüsse und feuchte Wiesen stehen in reizvollem Kontrast zu den kargen Böden. Die Wahrzeichen von Saaremaa sind die Bocksmühlen. Ihren Namen verdanken sie ihren Steinsockeln, den „Böcken“. Die Mühlen können manuell mit dem langen Holzbalken in die richtige Position gedreht werden. Wir haben jedoch Keine gesehen, welche noch in Betrieb ist. Sie dienen lediglich noch als Touristenattraktion. Bei wechselhaftem Wetter erkunden wir die Insel und entdecken an einem Küstenabschnitt diese lustigen Steinmännchen.
Auch bei uns gibt’s dies oder jenes Malheur! Wir halten für eine Mittagspause am Strand und wollen eine Kleinigkeit kochen. Damit der Toyota einigermassen gerade steht, will Dänu einen halben
Meter zurück fahren und schon kracht es! Ich war bereits in den Aufbau gestiegen und hatte die Einstiegsleiter hingestellt, welche Dänu im Rückspiegel nicht gesehen hat. Die Leiter ist natürlich
futsch, schöne Bescherung! Wie kommen wir nun in den Aufbau rein und raus? Nach einigem Fluchen, erwachen bald unsere Ideen, wie wir den Schaden wieder beheben können.
Da in den baltischen Ländern viel gebaut wird, gibt es auch viele Baumärkte und wir hoffen, dass es auch auf dieser Insel einen gibt. Kurz entschlossen fahren wir nach Kuressaare und fragen nach
einem Baumarkt. Tatsächlich finden wir einen, welcher sogar die gesuchte Aluleiter im Sortiment hat. Dänu hat bereits eine Idee, wie er die Aluleiter zersägen und anpassen muss, damit wir wieder
problemlos ein- und aussteigen können. Und siehe, es passt!
Tallinn, Hauptstadt Estlands
Ein Drittel der estnischen Bevölkerung lebt in der Hauptstadt Tallin. Diese Stadt war früher in eine Oberstadt und eine Unterstadt aufgeteilt.
In der Oberstadt, wo auch die grosse Kathedrale auf dem Domberg steht, lebten die Adeligen, in der Unterstadt die Handels- und Kaufleute. Das gegenseitige Misstrauen zwischen den Adeligen und den
Kaufleuten war so gross, dass sie eine hohe Maurer zwischen die Ober- und Unterstadt bauten und nachts sogar die einzelnen Gassen verriegelten. Tallinns Stadtmauern gehört zu den besterhaltenen
Europas.
Nationalpark Lahemaa
40km östlich von Tallin beginnt der Nationalpark Lahemaa, „Land der Buchten“. Hier erreichen wir den nördlichsten Punkt unserer Reise. An den einsamen
Küstenabschnitten unternehmen wir ausgedehnte Spaziergänge und geniessen, gut eingewickelt in Decken, die romantischen
Sonnenuntergänge am Meer.
Fahren weiter Richtung Osten und besichtigen unterwegs einen, der vielen Gutshöfe. Über Jahrhunderte waren die Gutshöfe Lebensmittelpunkt der deutsch-baltischen Barone gewesen und über Jahrhunderte hatten sie von den Herrenhäusern aus ihren Besitz verwaltet. Durch Landankauf und die Zinsknechtschaft der estnischen Bauern wuchsen diese Güter. Es entstand eine politisch-kulturelle Führungsschicht, die mit etwa hundert Familien zwar verhältnismässig klein war, deren Rolle aber auch unter schwedischer und russischer Herrschaft bis hinein ins 20. Jh. unangetastet blieb. Noch 1918 gehörten 60 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche in Estland dem deutsch-baltischen Adel. Die Gutshöfe waren Mittelpunkt des sozialen Lebens. Hier wurde entschieden, wer Pfarrer oder Lehrer wurde, ob und wo eine Schule gebaut wurde und hier sprach der Gutsherr Recht. Mit der Unabhängigkeit der baltischen Staaten wurden die deutschen Grundherren jedoch weitgehend entschädigungslos enteignet. Weil das Geld zum Unterhalt dieser Gutshöfe fehlt, sieht man meistens nur noch Ruinen. Einige Gutshöfe wurden aufwendig restauriert und sind nun öffentlich zugänglich. In Rakvere schaut uns der Stier schon von weitem von der Ordensburg entgegen. Rakvere war früher die wichtigste Festung zwischen der Handelsstrasse von Tallinn nach Narva.
Toila ist ein Dorf an der zum Teil ziemlich zerklüfteten Küste der Ostsee. Eigentlich eher zufällig fahren wir hier vorbei und sehen einen schönen Campingplatz mit Meersicht. Der Campingplatz gehört zu einem grossen Hotel, welches auf der gegenüberliegenden Strassenseite steht. Es ist zugleich ein Sanatorium untergebracht (bei uns würde man wohl eher Gesundheitszentrum sagen) und ein Thermalbad ist ebenfalls angeschlossen. Hier lässt es sich doch einige Tage verweilen, ist unsere spontane Idee. Gesagt, getan. Wir geniessen die Sprudelbäder, das Dampfbad und die verschiedenen Saunas ausgiebig. Tag für Tag haben wir hier strahlend blauen Himmel und unternehmen im nahe gelegenen Oru-Park erholsame Spaziergänge.
Narva – Grenzstadt zu Russland im Nordosten Estlands
Die Industriestadt Narva wurde während des zweiten Weltkrieges fast vollständig zerstört. Danach forcierte die
Sowjetunion die Industrialisierung Narvas indem Arbeitskräfte aus Russland angesiedelt wurden. So Wuchs der Anteil der russischen Bevölkerung von 30 auf 97% an. Dies mag mit ein Grund sein,
weshalb sich hier die Probleme der estnischen Republik (Wirtschaft, Umwelt und Nationalitätenkonflikt) ballen. Vom Turm der estnischen Hermannfestung schauen wir über den Grenzfluss zur
russischen Festung Iwangorod
und können uns wohl nur einen Bruchteil der Herausforderungen vorstellen, welche diese Stadt und die ganze Grenzregion noch
zu bewältigen hat.